Wer entscheidet eigentlich darüber, wann ein Baum zu einer Gefahr wird? Genau so wichtig ist aber auch die Frage, wie man mit sogenannten „Gefahrenbäumen“ an Straßen und im öffentlichen Raum rechtlich umgeht. Rainer Hilsberg, Jurist in der öffentlichen Verwaltung in Bayern, gibt dazu Antworten.
Ab welchem Status kann man von einem Gefahrenbaum sprechen?
Gefahrenbäume sind in der Regel Bäume, die umstürzen können. Das ist solange korrekt, wenn man von Pilzbefall im Stammfuß oder anderen Symptomen im statischen Bereich spricht. Wie sieht es aber aus mit Bäumen, die weitestgehend abgängig oder fast schon abgestorben sind? Diese Bäume können zwar in sich selbst statisch in Ordnung sein, aber die Kronen trocknen zu Totholz heran, was gefährlich werden kann. Auf der anderen Seite kann man bei solchen Bäumen bereits vom zeitlichen Limit sprechen, zumindest dann, wenn sich eine Totholzentnahme aufgrund der Masse nicht mehr „lohnt“. Würde man sie trotzdem beschneiden, würden manchmal (statisch sichere) Marterpfähle zurückbleiben. Kann der Ausdruck „Gefahrenbaum“ auch in diesem Fall Verwendung finden?
Die Ressourcen eines Straßenbaulastträgers sind viel zu sehr limitiert, als dass man „mal eben“ mit dem Steiger in die Kronen steigt, um totes Holz zu entfernen, nur um drei Monate später wiederzukommen, um die nächsten Äste zu beseitigen. Das lässt sich auch botanisch nicht begründen. Kein Baum ist durch eine Totholzentnahme zu retten! Straßenbaulastträger haben die Pflicht, Bäume zu pflanzen, zu pflegen, zu erhalten, Naturschutzbehörden sollen diese dann aufgrund Naturschutzgesetzen (be-)schützen.
Wer entscheidet über Leben und Sterben eines Baumes?
Nach ständiger Rechtsprechung1 erstreckt sich die Straßenverkehrssicherungspflicht auch auf den Schutz vor Gefahren durch Bäume. Der Verkehrssicherungspflichtige muss daher Bäumeoder solche Teile von ihnen entfernen, die den Verkehr konkret gefährden, insbesondere wenn sie nicht mehr standsicher sind oder herabzustürzen drohen.
Gefahrenbaum
Ausgehend von diesem Grundsatz sind stand- und/oder bruchgefährdete Gehölze im Straßenbegleitgrün rechtzeitig zu entfernen. Unter Standsicherheit versteht man die ausreichende Verankerung des Baumes im Boden gegenüber Lasten wie zum Beispiel Sturm, Schnee, Eis und Eigengewicht. Bruchsicherheit bedeutet die ausreichende Fähigkeit und Beschaffenheit eines Baumes, dem Bruch von Stamm- und Kronenteilen beim Einwirken von Lasten wie zum Beispiel Sturm, Schnee, Eis und Eigengewicht zu widerstehen3. Bäume beziehungsweise deren Baumteile, die nicht stand- oder bruchsicher sind, werden üblicherweise als Gefahrenbäume bezeichnet. Im Übrigen ist der Begriff „Gefahrenbaum“ weder gesetzlich noch in den einschlägigen baumfachlichen Regelungswerken wie ZTV-Baumpflege oder den Baumkontrollrichtlinien näher definiert.
Tendenziell verlangt die Rechtsprechung bei Straßenbäumen eine zeitnahe Beseitigung von Gefahren für die Straßenbenutzer. Nach dem OLG Dresden4 müssen bei Straßenbäumen erkannte Mängel grundsätzlich unverzüglich beseitigt werden. Namentlich erkanntes Totholz muss umgehend entfernt werden, um die Verkehrsteilnehmer vor der bestehenden Gefahr durch herabstürzende Äste zu schützen. Fallen bei einer Baumkontrolle Schäden an einem Baum auf, so sind nach dem OLG Brandenburg5 entsprechende Maßnahmen je nach dem zu Tage tretenden Grad der Gefährdung von Verkehrsteilnehmern zu veranlassen.
Zumutbarkeit der Maßnahmen
Der Umfang der erforderlichen Sicherungsmaßnahmen bestimmt sich unter anderem nach der Zumutbarkeit der erforderlichen Maßnahmen. Grundsätzlich sind diejenigen Maßnahmen zu ergreifen, die zur Gefahrenbeseitigung objektiv erforderlich und nach objektiven Maßstäben (auch wirtschaftlich) zumutbar sind. Ob ein Gefahrenbaum gefällt oder die Verkehrssicherheit durch entsprechende Schnittmaßnahmen wiederhergestellt wird, muss je nach konkretem Einzelfall abgewogen und entschieden werden. Dabei spielt auch eine Rolle, ob es sich um einen besonderen Baum handelt, der erhalten werden soll. Bei nachlassender Vitalität kann eine Kroneneinkürzung oder als radikalere Maßnahme ein Kronensicherungsschnitt nach ZTV-Baumpflege 2006 (Ziffer 3.1.9 Sondermaßnahmen) erfolgen. Solche wiederkehrenden Maßnahmen sind gegebenenfalls alle zwei bis fünf Jahre durchzuführen. Maßnahmen, die zwar weniger stark in den Baum eingreifen, dafür aber in sehr kurzen Zeitabständen wiederholt werden müssen, sind in der Regel wirtschaftlich nicht zumutbar und können nicht verlangt werden. Dies gilt erst recht, wenn der Baum aufgrund seines Alters oder sonstiger Ereignisse bereits die Endphase seiner biologischen Existenz erreicht hat. Dann entspricht es natürlicher Betrachtung, ihn als abgängig zu behandeln und eine Fällung vorzunehmen.
Einschränkungen durch Naturschutzrecht
Einschränkungen in Bezug auf beabsichtigte Fällungen oder andere Baumpflegemaßnahmen können sich allerdings aus dem Naturschutzrecht ergeben. Den rechtlichen Rahmen für die Gehölzpflege an öffentlichen Straßen bilden insbesondere die Eingriffsregelung in § 14 BNatSchG, Naturdenkmalverordnungen (§ 28 BNatSchG), Baumschutzverordnungen/-satzungen (§ 29 BNatSchG, geschützte Landschaftsbestandteile), landesrechtliche Regelungen zum Alleenschutz (§ 29 Abs. 3 BNatSchG), der gesetzliche Biotopschutz (§ 30 BNatSchG), der allgemeine Artenschutz (§ 39 Abs. 1, Abs. 5 BNatSchG) und der besondere Artenschutz (§ 44 BNatSchG). Unter Berücksichtigung der in der Frage angesprochenen Probleme sind hier in erster Linie der Alleenschutz sowie der besondere Artenschutz relevant.
Den gesamten Artikel mit vielen weiteren Informationen zum Natur- und Artenschutz sowie den rechtlichen Vorgaben finden Sie in Heft 04/2016 der Baumzeitung.